Mittwoch, 7. Juli 2010

¡Hola, buenas tardes!

Eine kurze Meldung aus Xela :) Im Moment regnet es, und wir haben unsere zweite Salsastunde hinter uns gebracht. Wir koennen schon 7 oder 8 Figuren, und es macht wahnsinnig viel Spass, sich durch die Gegend wirbeln zu lassen ;-) Im Anschluss wurden wir dann glatt noch fuer Australier gehalten, ist mir auch noch nie passiert vorher...
Das Deutschlandspiel haben wir uns natuerlich auch zu Gemuete gefuehrt - schon ein bissl traurig :( Die erste Haelfte gabs in der Sprachschule, noch ganz klassisch mit Antenne richtig ausrichten und auslosen, wer sie hochhaelt, bis irgendwo Klebeband auftauchte, und die zweite Halbzeit dann beim "public viewing" mit vielen begeisterten Guatemalteken, von denen sogar etwa ein Drittel fuer Alemania jubelten und trauerten.

Des Weiteren unterhalten wir uns allabendlich praechtig mit unserer Gastfamilie. Meistens gehts ums Essen oder komische Dinge, die die hier mit Bier anstellen (Bier, Tomaten- und Gemuesesaft, Eier, Salz, Chile, und Limette - Basti will das nach wie vor mal probieren, ich lieber nicht *g*).
Am Montag waren wir in Zunil, einem Bergdorf ca. 10km (= 35 min Fahrtdauer im alten U.S. Schulbus) von Xela entfernt. Leider kamen wir zu spaet fuer den Markt, hatten aber dafuer die Gelegenheit, San Simon einen Besuch abzustatten. Dieser muntere Zeitgenosse ist eine Schaufensterpuppe, die erschreckende Aehnlichkeit mit Michael Jackson aufweist, und auf einer Art Thron, beleuchtet von Energiesparlampen, sitzt. Vor ihm aufgestellt sind geopferte Kerzen (rot fuer Liebe, gruen fuer dinero, etc.) und Bier, Schnaps, und Zigaretten. Sein Waechter hat uns 5 Quetzales pro Person abgeknoepft, um das Spektakel anschauen zu duerfen - echt irre. Sonst gab es nicht viel zu sehen, vielmehr waren wir wohl die Attraktion schlechthin fuer die Dorfbevoelkerung, die zum Teil freundlich aber schuechtern gewunken, und zum Teil einfach nur neugierig geschaut hat. Interessant ist, dass hier auf dem Land der christliche Glauben mit dem Naturglauben der Indigenas verschmolzen ist, so dass zwar eigentlich alle "in die Kirche gehen", aber das Ganze vor dem Hintergrund ihrer ueberlieferten Traditionen sehen.
Zwei Dinge sind mir hierbei aufgefallen: die Umweltverschmutzung war dort in einem Fluss sehr, sehr sichtbar - aus der hoeher gelegenen kleinen Stadt Almolonga schwemmt es dort die ganzen Muellutensilien und vor allem Abwaesser an, der ganze Fluss war eine einzige schaeumende dunkelbraune Bruehe.
Zum Zweiten halten die Ladinos (Nachkommen der Spanier) wohl im Allgemeinen nicht besonders viel von den Indigenas, da unser Gastvater gleich total abwertend meinte, ja ja, die spinnen, die Indigenas. Von political correctness echt wenig zu spueren.

Noch interessanter als dieser Ausflug jedoch war der Besuch eines ehemaligen Guerilla-Comandante abends in der Sprachschule. Er hat von seinem Leben und seinen Beweggruenden erzaehlt - wahnsinnig interessant! Sein Grossvater, sein Vater und er sind auf einer Finca (Grossgrundbesitze, die vor allem Kaffee und Kakao, aber auch Gewuerze anbauen) an der Pazifikkueste aufgewachsen. Das Leben dort kommt dem eines Leibeigenen im europaeischen Mittelalter gleich: kein Lohn, kaum Essen, keine Rechte. Vor diesem Hintergrund meinte er, waere es die Chance seines Lebens gewesen, als er die Moeglichkeit hatte, den Guerilla beizutreten. Der Hintergrund des Krieges, der immerhin 36 Jahre lang in Guatemala tobte, ist im Grossen und Ganzen die Unterdrueckung der indigenen Bevoelkerung, v.a. auf dem Land, und die Herrschaft weniger Reicher ueber fast alle Ressourcen des Landes. In El Salvador, Honduras und Nicaragua gab und gibt es sehr aehnliche Probleme (empfehlenswerter Film hierzu: voces inocentes - Innocent Voices!).
Die Regierung, vielmehr das Militaer, unterdrueckte also jahrzehntelang die eigene Bevoelkerung, auch mit Unterstuetzung durch die USA. Wer beispielsweise keine Arbeit hatte, musste Zwangsarbeit leisten, und als dem Militaer die Leute ausgingen, rekruitierten sie Kinder ab 12 Jahren aus den Schulen (d.h. sie nahmen sie einfach eines Tages mit).
Die Guerilla kaempften auf Seiten der indigenen Bevoelkerung gegen das Militaer, und seine Schilderungen von Not-Operationen im Dschungel, und vom taeglichen Leben im Dschungel waren wirklich beeindruckend.

Erschreckend ist die heutige Situation Guatemalas: der nach dem Friedensschluss 1996 gewaehlte Praesident ist mehr oder weniger handlungsunfaehig, und anscheinend droht die alte (Militaer-)Elite, mittels einem Putschversuch in naeherer Zukunft wieder an die Macht zu kommen. Ich entschuldige mich an dieser Stelle, dass das hier jetzt doch ein wenig ins Politische abgedriftet ist, aber das Thema beschaeftigt mich gerade sehr - wie man ein Land mit solchen unglaublichen Ressourcen (Landschaft, Natur, Leute, Kultur, etc.) so misswirtschaften kann. Die "Hilfe" von NGOs wird hier auch geteilt gesehen, da diese Organisationen zwar Fortschritt bringen, auf der anderen Seite aber neue Abhaengigkeiten schaffen und gegeneinander konkurrieren, was durchaus nicht immer zum Wohle der Leute hier ist.

Gestern abend waren wir dann noch mit den beiden Englaender und einer US-Amerikanerin aus der Sprachschule was trinken in der Stadt, was auch sehr lustig war. Einer der beiden Englaender jedoch war heute frueh so fertig, dass er eine Stunde in der Schule auf dem Sofa schlief, und der andere ist gar nicht erst aufgetaucht ;-)
Bemerkenswert sind hier uebrigens die Preise in den Baeckereien: fuer umgerechnet 3 Cent gekommt man eine kleine Semmel, fuer eine grosse wird man 10-15 Cent los, und ein "Laib" Brot kostet ca. 50-60 Cent. Das Brot ist natuerlich nicht mit deutschem zu vergleichen, eher mit italienischem und amerikanischen - schmeckt aber trotzdem super! Und ist eine willkommene Abwechslung zu den Ruehreiern (huevos), dunklen Bohnen (frijolitos) und Maismehlknoedeln (Tamalitos), die es hier in bunter Abwechslung zu eigentlich jeder Mahlzeit gibt. Schmecken tut das Essen aber fast ausnahmslos super, Fleisch oder Fisch gibt es natuerlich nicht jeden Tag - aber dafuer bisweilen Pfannkuchen zum Fruehstueck, und "té María Luísa" (wohl ein Baum, aus dem man sehr feinen Tee machen kann) aus dem eigenen Garten.

Auch interessant ist das Geschehen auf den Strassen hier in Xela: der Grossteil der Autos sind Toyotas, und 70-80% aller PKW sind Pick-Ups, mit teilweise den abenteuerlichsten selbstgebastelten Aufbauten. Gern verwendet werden schmiedeeiserne Gartengitter, und 15 Leute auf der Ladeflaeche sind komplett normal. Die Gerausche- und Abgaskulisse beschreibe ich nicht, dafuer fehlen mir einfach die Worte ;-)

So langsam sind wir also richtig angekommen in Guatemala, und freuen uns auf alle kommenden Abenteuer und Erlebnisse! Morgen frueh gehts zum Reitausflug durch den Bergwald, bin mal gespannt, wie es Basti gefaellt ;-)

Allerbeste Gruesse aus Xela!
Franziska

PS: und puenktlich zu meinem Heimmarsch hat es aufgehoert zu regnen - so mag ich das :-)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen